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Eieraufleset Text

Eieraufleset-Text

Der alte Brauch

Das „Eieraufleset“ gehörte im vergangenen Jahrhundert noch zu einem weit verbreiteten Brauch, der sich auch ausserhalb unseres Kantons grosser Beliebtheit erfreute. Im Aargau wird er in unserer näheren Umgebung vor allem noch in Dintikon durchgeführt, und zwar jedes Jahr am zweiten Sonntag nach Ostern.
Es handelt sich im Allgemeinen um ein Wettspiel zwischen zwei Parteien, von denen eine den „Leser“, die andere den „Läufer“ zu stellen hat. Dem „Leser“ fällt die Aufgabe zu, eine bestimmte Anzahl von Eiern einzusammeln und in eine Wanne oder ein aufgespanntes Tuch zu werfen. In der gleichen Zeit muss der „Läufer“ eine bestimmte Wegstrecke laufen, in der Regel ins Nachbardorf und wieder zurück.
Jedes Dorf, welches das Eieraufleset kennt, hat dann auch eigene Traditionen entwickelt, sodass jedes Fest etwas anders gestaltet wird. Vor allem die verkleideten Gestalten (Stechpalmenblätter, Hobelspäne, Jasskarten, Strohkleider, verschiedene Tiere), welche mit ihrem Herumtollen und ihren Spässen die Zuschauer unterhalten, sehen in jedem Dorf wieder anders aus und lassen sich wohl auch nur aus ihrer Herkunft heraus erklären.

Über den Ursprung des Eierauflesets gibt es verschiedene Überlieferungen, es finden sich jedoch keine urkundlichen Nachweise über dessen Entstehung. Sicher ist, dass es sich um einen Brauch handelt, der auch in bestimmten Regionen Deutschlands und Frankreichs heimisch ist.

So soll der Eierlauf erstmals in Savoyen (F) durchgeführt worden sein, als ein König sich nicht zwischen den zwei Bewerbern um die Hand seiner Tochter entscheiden konnte. Beide waren dem zukünftigen Schwiegervater gleich wertvoll. Also musste ein Weg gefunden werden, um den beiden Bewerbern jegliche Kränkung bei einer eventuellen Absage zu ersparen. Der König kam auf die Idee, einen Eierauflesewettlauf durchzuführen und der Gewinner sollte die Königstochter zur Frau bekommen!

Es wäre auch möglich, dass es sich bei dem Wettkampf um einen symbolischen Kampf zwischen dem Winter (Läufer) und dem Frühling (Leser) handelt. Zu dieser Theorie würden die Eier, als Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit, und das Vertreiben des Winters mit dem Schlagen der Schweineblasen passen.
 

Vorbereitungen

Ein paar Tage vor dem grossen Fest gehen die sog. „Gagelibueben“ (junge Burschen aus dem Dorf, welche das typische Gackern der Hühner imitieren) von Haus zu Haus, um Eier oder auch einen „Eierbatzen“ zu erbetteln. Zeigt sich da der eine oder andere Hendschiker von der knausrigen Seite, so findet er anderntags einen Haufen Spreu vor der Haustür.

 

Der Eieraufleset-Morgen

Am Eieraufleset-Sonntag (Weisser Sonntag) müssen die einen schon sehr früh aus den Federn. Das Hasenpaar, in voller Verkleidung und mit den „Hutten“ am Rücken, fährt dann nämlich mit dem Velo in die Nachbardörfer und ermuntert alle Passanten sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Ammerswil, Lenzburg, Othmarsingen usw. zur Teilnahme am Eieraufleset am Nachmittag in Hendschiken. Mit lautem Glockengeläut, aber auch mit Plakaten wird auf das grosse Fest aufmerksam gemacht und Herr und Frau Hase geben ihr Bestes, um möglichst viele Zuschauerinnen und Zuschauer nach Hendschiken zu locken.

 

Das Fest beginnt …

Am Nachmittag holt die Musikgesellschaft aus Othmarsingen die verkleidete Gesellschaft (nur junge Burschen aus dem Dorf, keine Frauen) ab und begleitet sie auf einem Umzug durch das Dorf. An diesem Umzug nehmen zwei Gruppen teil: Die traditionellen Figuren des Hendschiker Eierauflesets (siehe weiter unten) und eine Anzahl vermummter Gestalten, die allerlei Schabernack treiben. Den Abschluss des Umzuges bildet ein geschmückter Wagen, der von den „eingefangenen„ jungen Burschen des Dorfes gezogen wird und auf welchem, je nach Motto, ein Aufbau angebracht ist.

 

Vor dem Gasthof Bären (später dann auf dem Schulhausplatz) ist inzwischen eine Reihe von 110 Eiern im Abstand von 30 cm ausgelegt worden. Das erste Ei ist ein gefärbtes, dann folgen neun weisse Eier, dann wieder ein gefärbtes, so dass 99 rohe weisse sowie 11 gefärbte und gekochte Eier parat liegen. Jedes Ei wird auf ein Häufchen Spreu gelegt, damit ja keines zu Schaden kommt.

 

Erst kurz vor dem Start zum eigentlichen Wettrennen wird per Losentscheid festgelegt, wer von den beiden „Weissen“ die Laufstrecke zu absolvieren hat und wer die Eier auflesen muss!

Nun treten die Hauptpersonen, d.h. die zwei „Weissen“ ihren Wettkampf gegeneinander an. Der eine „Weisse“ läuft nach Dintikon und wieder zurück während der andere in der Zwischenzeit die weissen Eier auflesen und in das am Ende der Eierreihe aufgespannte Leintuch werfen muss. Mit jedem Ei muss er die Eierreihe einmal hin- und einmal herlaufen. Je geschickter er wirft, d.h. je weniger Fehlwürfe er macht, desto weniger muss er laufen, da er nämlich pro daneben geworfenes Ei die Strecke einmal „leer“ zu laufen hat. Der „Weisse“ wird auf seinem über 100maligen Hin und Her abwechslungsweise vom Edelmann und vom Zigeuner begleitet, welche die vorwitzigen Zuschauer mit ihren „Söiblotere“ (getrocknete und aufgeblasene Schweinsblasen) zurückdrängen und so für freie Bahn sorgen. Die farbigen Eier werden nach und nach von dem Hasenpaar eingesammelt und an die Zuschauenden verschenkt!

 

In der Zwischenzeit läuft der andere „Weisse“ (Läufer), begleitet vom Cowboy auf seinem Pferd (später dann von einem Velofahrer) nach Dintikon zum Gasthof Bären, wo er ein „Grosses“ oder einen „Halben“ konsumieren muss, dann geht’s zurück nach Hendschiken. Am Dorfeingang wird er abgeholt und zum Festplatz begleitet. Es wird gemunkelt, dass man auch schon mal versucht hat, den Läufer etwas zu „bremsen“, damit am Schluss der Eierleser (d.h. die Symbolfigur für den Frühling) und nicht der Läufer (d.h. Symbolfigur für den Winter) den Wettstreit für sich entscheiden kann!

Auf dem Festplatz findet dann im Anschluss an den Wettlauf bei Tanz, Essen und Trinken das Eieraufleset seinen Abschluss.

 

Während des Eierauflesets unterhalten die verschiedenen verkleideten Gestalten die Zuschauer mit ihrem lustigen Treiben.

Gemäss Berichten gehören der Strohmann, Herr und Frau Hase, „d’Häx mit der Scheese“, der Cowboy hoch zu Ross, der Edelmann, der Mexikaner, der Zigeuner, und verschiedene Tiere, wie Affe, Bär, Löwe, Esel, Eisbär usw. dazu.

 

Der „Eierfrass“

Am Samstag nach dem grossen Dorffest findet schliesslich noch der sog. „Eierfrass“ statt. Zu diesem Anlass sind alle aktiv am Geschehen beteiligten jungen Burschen gemeinsam mit ihrer Freundin oder Frau eingeladen. Falls jemand „solo“ am Anlass teilnehmen will (oder muss….), so hat er eine „Busse“ zu bezahlen und der Spott aller ist ihm für einen Abend lang sicher!

Dem Namen des Anlasses entsprechend, gilt es nun die noch „ganzen„ Eier zu verspeisen und es werden Wetten abgeschlossen, wer wohl am meisten Spiegeleier vertilgen kann…… Der Rekord soll bei beachtlichen 24 Stück liegen!

 

Das letzte Fest (1970)

Die letzten Eieraufleset fanden dann schon nicht mehr auf der Hauptstrasse vor dem Gasthof Bären statt, sondern wurden auf dem Schulhausplatz abgehalten, da das Verkehrsaufkommen keine so lang anhaltende Strassensperre mehr erlaubte.

Im Jahre 1970 wurde zum letzten Mal ein Eieraufleset in Hendschiken durchgeführt.

An der Generalversammlung des Turnvereins im Jahre 1980 ist das Thema „Eieraufleset“ nochmals traktandiert worden, doch die Wiedereinführung des alten Brauchs fand keine Mehrheit. Ein Grund, der gegen eine Wiederaufnahme der alten Tradition sprach, war der finanzielle Aspekt. Denn das Fest hatte in der Kasse der Turnvereins oftmals ein grosses Loch hinterlassen…!

 

2010, d.h. im Jubiläumsjahr der Gemeinde Hendschiken, haben sich die Turnenden Vereine zur Freude des ganzen Dorfes dazu entschlossen, den Brauch wieder aufleben zu lassen und zum 850. Geburtstag der Gemeinde wieder in alter Form durchzuführen.

 

Sabina Vögtli-Fischer, November 2009

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